Cover von "Nicht nur Mütter waren schwanger"
AUCH E-BOOK
Nicht nur Mütter waren schwanger
Unerhörte Perspektiven auf die vermeintlich natürlichste Sache der Welt Alisa Tretau (Hg.) Deutsch
Paperback, 176 Seiten
140 x 205mm
978-3-96042-041-5 / 2-973
14,00 Euro
Erscheinungstermin: 10/2018
Mit Illustrationen von Pia Eisenträger
Deutsch
Paperback, 176 Seiten
140 x 205mm
978-3-96042-041-5 / 2-973
14,00 Euro
Erscheinungstermin: 10/2018
Mit Illustrationen von Pia Eisenträger

Inhalt

Nicht nur Mütter waren schwanger vereint persönlich geschilderte Erfahrungen mit Schwangerschaft, die im gesamtgesellschaftlichen Diskurs oft überhört werden: Es geht um unerfüllte und lesbische Kinderwünsche, um trans-männliche oder alters-untypische Schwangerschaften, genauso wie um Abtreibung und Fehlgeburt, Repro-Medizin, Pränataldiagnostik und vieles mehr. Der Sammelband will den einengenden und Druck ausübenden Blick, Schwangerschaft sei für die cis-Heteronorm die „natürlichste Sache der Welt“, für alle anderen hingegen unmöglich, aufweichen, und dabei alternative Visionen entwickeln: für mehr Offenheit und Selbstbestimmung im Umgang mit Kinderwünschen, Schwangerschaft und Eltern-Sein.


Mit Beiträgen von Diana Thielen, Mareice Kaiser, Carrie McIlwain, Johanna Montanari, Katti Jisuk Seo und Nadire Biskin.

Herausgeberin

Alisa Tretau — Alisa Tretau studierte zunächst Sozial- und Kulturanthropologie sowie Politikwissenschaft an der FU (2006-11), wo sie mit verspielten Verbündeten mit unterschiedlichen künstlerischen Medien experimentierte. Mehr Infos

Mit Beiträgen von Diana Thielen, Mareice Kaiser, Carrie McIlwain, Johanna Montanari, Katti Jisuk Seo und Nadire Biskin.

Leseprobe / Cover

Textauszug aus dem Buch Nicht nur Mütter waren schwanger:

Wir brauchen doch nur Sperma und Geld. Von Selbstfürsorge und Solidarität bei queerem Kinderwunsch

Krankenkassen übernehmen bei hetero-Paaren häufig die Kosten für assistierte Reproduktion, während queeren Familien vor vielen Hindernissen stehen. Ein Aufklärungs- und Erfahrungsbericht über Kinderwunschkliniken, Diskriminierung und Möglichkeiten der Solidarität.

Von Diana Thielen

Der Gang zur Kinderwunschklinik war bei mir und meiner Freundin mit einer lang durchdachten Entscheidung verbunden. Obwohl ich Hormontabletten und Spritzen und das Rechnen der Tage bis zum Eisprung teilweise anstrengend finde, ist es mir im Grunde egal, wie ich nun schwanger werde. Ob durch einen Katheter Samen direkt in den Uterus geleitet werden oder ob der Weg über den Eileiter „abgekürzt“ wird und das schon befruchtete Ei in den Uterus gesetzt wird, ist mir vollkommen schnuppe. Mir ist es suspekt, dass in Deutschland oft abwertend über assistierte Reproduktion, also die verschiedenen medizinischen Angebote, Schwangerschaften herbeizuführen und zu unterstützen, gesprochen wird. Und es befremdet mich, dass für viele Menschen die Möglichkeit, dass Männer* schwanger werden können, anscheinend nicht zu verkraften ist.

Mir ist dieser ganze heteronormative Quatsch des „natürlichen“ Schwangerwerdens total egal, geht der doch an so vielen Lebensrealitäten vorbei. Viel wichtiger ist mir, dass alle Personen, die das wollen und brauchen, bei ihren Wünschen, (nicht) schwanger zu werden, unterstützt werden. Und das geht am besten ohne Geschlechtszuschreibungen oder Marginalisierungen von lesbischen/queeren Familienideen in einer Gesellschaft.
Oder?

Wir brauchen doch nur Sperma und Geld

Der Satz, „Wir brauchen doch nur Sperma und Geld“, begleitet mich in meinem, in unserem Prozess des Schwangerwerdens. Ich bin jetzt Mitte 30 und lebe in einer lesbischen/queereniiBeziehung.Meine 20er Jahre habe ich größtenteils in hetero-Beziehungen verbracht. Kinder waren für mich kein Thema oder wenn, dann nur mit dem ausdrücklichen Wunsch, keine zu bekommen. Ich wollte niemals Mutter werden. Der Gedanke ans Kinderkriegen war für mich verbunden mit stereotypen Geschlechterrollen. Ich sah keinen Ausweg aus diesem Dilemma, zumindest nicht in meinen gelebten hetero-Beziehungen.

Vielleicht lag es daran, dass ich 30 wurde. Oder eben daran, dass Geschlechter– und Elternrollen in lesbischen Beziehungen anders gelebt werden müssen und können: Seitdem ich lesbisch lebe, ist der Gedanke des „Elternwerdens“ nicht mehr so beklemmend, sondern bietet mir die Möglichkeit, mich mit meinen Vorstellungen, Wünschen, Ängsten und Sehnsüchten auseinanderzusetzen. Mit meiner Partnerin habe ich ein Gegenüber, das mir Platz gibt, mit ihr gemeinsam unterschiedliche Lebensentwürfe in Betracht zu ziehen. Der Prozess hin zur Entscheidung, schwanger zu werden und auf welche Weise, war sehr intensiv und zog sich über drei Jahre. Eine heterologe Insemination, also eine anonyme Samenspende, sollte es sein. Dabei bedingen sich der Wunsch nach einer anonymen Samenspende, sowie derjenige, dass meine Partnerin nach der Geburt das Kind adoptiert, gegenseitig. Doch so einfach lässt sich dieser Entschluss, insbesondere in Deutschland, nicht umsetzen. Als lesbisches/queeres Paar steht keine Entscheidung für sich. Unsere Wünsche werden beständig von unserer Umgebung willentlich und unbewusst hinterfragt. Sobald ich anfange über unsere Situation, über meine Gefühle zu sprechen, beginnt zuerst einmal die Aufklärungsarbeit. Kaum jemand scheint die rechtliche Lage zu kennen und sich individuell mit lesbischen/queeren Lebensrealitäten auseinandergesetzt zu haben. So freuen sich unsere Herkunftsfamilien mit uns über die sogenannte „Homo-Ehe“ und sind gleichermaßen enttäuscht, wenn uns so gar nicht nach Jubeln zumute ist. Wo liegt das Problem? Eben darin, dass sich nichts Entscheidendes für uns verändert.

Aufklärungsarbeit #1: Wie schon erwähnt, müssen lesbische, „verheiratete“ Paare immer noch das Kind, welches innerhalb der Beziehung gezeugt und geboren wurde, adoptieren und es gibt keine Gleichstellung in der Finanzierung der assistierten Reproduktion. „Wir brauchen doch nur Sperma und Geld!“ Das „nur“ in diesem Satz ist unsere Hoffnung und gleichzeitig auch unser wunder Punkt. Als ich zugesagt habe, diesen Text zu schreiben, hatte ich gehofft, dass wir entweder schon schwanger sind, oder zumindest auf das erwünschte, positive Ergebnis hoffen können. Stattdessen musste ich mich entscheiden, ob ich dem Wunsch, schwanger zu werden, Lebewohl sage oder mir überlege, wie ich die, für unsere Verhältnisse absurd klingende Summe von 10.000 Euro, zusammenbekomme.

Das „nur“ war die Hoffnung, dass ich mit wenigen Versuchen durch eine Insemination schwanger werde, und dass ich ansonsten keine weitere medizinische Hilfeleistung benötige. Selbst dieser noch recht unkomplizierte Weg hat uns bereits in eine finanziell schwierige Situation gebracht. Nach mehreren erfolglosen Versuchen sind wir jetzt pleite. „Wir brauchen doch „nur“ Sperma und Geld“ fühlt sich immer mehr nach einer sarkastischen Wunschvorstellung an, und immer wieder frage ich mich, warum um Sperma so viel Aufhebens gemacht wird.
Aufklärungsarbeit #2: Die Berliner Kinderwunschzentren arbeiten ausschließlich mit Berliner Samenbanken zusammen. Die Anmeldung, ohne auch nur eine Spermaprobe „gesehen“ zu haben, kostet im Durchschnitt 2000€.

Nun habe ich seit einigen Tagen die Diagnose „undurchlässige Eileiter“. Das „nur“ ist komplett hinfällig geworden, denn so scheint In-Vitro-Fertilisation der einzige Weg, um schwanger zu werden, und ich spüre mehr denn je, dass mein Kinderwunsch als lesbisch/queer lebende Frau gesellschaftlich nicht gleichwertig behandelt wird, denn:
Aufklärungsarbeit #3: Bei undurchlässigen Eileitern wird im „Normalfall“ eine In-Vitro-Fertilisation (IVF) mit sehr guten Erfolgsaussichten empfohlen. Der „Normalfall“ setzt voraus, dass die hetero-Paare verheiratet sind und ein festgesetztes Alter nicht überschreiten. Dann werden die Kosten zu großen Teilen, abhängig von der jeweiligen gesetzlichen Krankenkasse, übernommen. Es ist zwar nicht mehr verboten, als lesbisches Paar oder auch als alleinstehende Frau Reproduktionstechnologie in Anspruch zu nehmen, aber es wird eben auch nicht bezahlt, Ehe für alle hin oder her. Und so regulieren die sozialen und finanziellen Ressourcen die Familiengründung.iii

Zurück zur Selbstfürsorge

Ich bin überfordert. Mit mir und den anderen.

Ich finde es schwer, mich gegen die vermeintlich neutrale, schulmedizinische Betrachtung des Körpers zu wappnen und nicht ständig nach Fehlern in meinem System zu suchen. Wie oft habe ich in den vergangenen Tagen meine Atmung kontrolliert. Habe tief eingeatmet und wieder bewusst ausgeatmet, bis vier gezählt und leicht den Mund geöffnet. Ich habe gehofft, dass sich dadurch mein Kopf-und Gefühlskarussell endlich auflöst. So sehr ich versuche, all mein Wissen über feministische Gesellschaftsanalysen als Unterstützung zu nutzen, immer wieder kommt der leise, böse Gedanke herausgekrochen: „Du bist selbst schuld!“
Ich muss mich erklären. Wir müssen erklären. Da ist der Onkel, der uns wissen lässt, dass wir es ja auch „einfacher hätten“ haben können und damit die heterosexuelle Familiengründung meint. Da ist der Anruf bei einer Fertilitätsklinik in Berlin, deren Sprechstundenhilfe uns schon am Telefon wissen lässt, dass hier keine lesbischen Paare behandelt werden. Da sind die Gespräche mit Freundinnen in hetero-Paarbeziehungen, die von ihren von der Krankenkasse bezahlten IVF-Versuchen erzählen. Da sind die Ärzt*innen, die von uns regelmäßig daran erinnert werden müssen, dass wir Selbstzahler*innen sind und daher über jeden Schritt nachdenken, beziehungsweise nachrechnen, müssen.
Ich lese, versuche mich zu vernetzen, das Thema künstlerisch zu verarbeiten und in meinem Kopf- und Gefühlskarussell Möglichkeiten widerständiger Handlungen zu finden. Nichtsdestotrotz begleitet der Gedanke des „wir hätten es ja auch einfacher haben können“ meine Auf-und Abwärtsbewegungen im Karussell. Es kostet mich täglich Anstrengung, mich dagegen zu wehren. Ich spüre mehr und mehr, dass ich mir selbst Empathie und Selbstfürsorge entgegen bringen möchte. Nachdem ich einen Monat in Kalifornien verbracht hatte, kam ich mit einem Buch über die europäische und nordamerikanische Hexenjagd und mit einem jüdischen Inseminations-Gebet zurück, und begann wieder, regelmäßig zu meditieren.

Und Solidarität?

Ich will herausfinden, was Solidarität in dieser Situation bedeuten kann. Wie ist es möglich, Räume entstehen zu lassen, in denen Verbindungen geknüpft werden können? Eine Verbindung, die gegenseitige Unterstützung entstehen lässt, und die nicht auf neoliberalen Politiken von Selbstverantwortung und Machbarkeit von Glück und Optimismus basiert?

Ich wünsche mir einen Raum, in dem ich trauern darf. Einen Raum, der es ermöglicht, den Zusammenhang zwischen Gefühlen und erlebten Herrschaftsstrukturen zu benennen. Einen Raum, in dem unser Kinderwunsch nicht ausschließlich als individuelle Befindlichkeit verstanden wird und somit auch finanzielle Ressourcen nicht privatisiert werden. Ich möchte gemeinsam lachen, weinen und wütend schreien können. Ich stelle mir einen utopischen Ort vor, an dem gemeinsame Strategien gesucht werden, um mit Gefühlen die „unter die Haut“ gehen, einen Umgang zu finden. Ich wünsche mir, mich nicht zwischen Verstand und Gefühl entscheiden zu müssen, sondern die Verwobenheit und Widersprüchlichkeit in dem Prozess des (nicht-)Schwangerwerdens mit offenen Armen zu empfangen. Einen Ort, an dem wir uns ermächtigen, gemeinsam atmen und meditieren, tanzen (lasst uns ums Feuer tanzen!), uns Tee kochen, eigene Inseminationsgebete und -rituale erfinden, und uns gegenseitig Geschichten vorlesen.

[...]

Pressestimmen (6)

Dieser Sammelband dokumentiert zahlreiche subjektive Erfahrungen mit dem Thema, teilweise auch in Form von Interviews oder Protokollen. Die Stärke dieser vielfältigen Perspektiven ist es, von dem jeweiligen persönlichen Erleben auszugehen und das Thema „Kinderkriegen“ nicht auf einen Nenner bringen zu wollen, sondern es als subjektive Erfahrung zu erzählen. —  Antje Schrupp, Graswurzel Revolution (04.04.2019)
…diese queerfeministische Annäherung an das komplexe, emotionale, medial und gesellschaftlich verdammt aufgeladene Thema der Schwanger- und Elternschaft ist wirklich jeder Person ans Herz zu legen – egal ob Mutter, Vater, (schein-)schwanger, kinderlos, mit oder ohne Kinderwunsch oder etwas Dazwischenliegendes. Denn eines wird schnell klar: Das Thema ist ein kompliziertes, ein schwieriges und ein sehr persönliches; gleichzeitig ist es hochpolitisch und geht in gewisser Hinsicht alle an. —  Silvana Schmidt, feminismus-im-pott.de (26.04.2019)
Wie schmerzvoll die Erfahrung ist, wenn man ein Kind will und die Schwangerschaft nicht „einfach so“ heteronormativ passiert, erfährt man in „Nicht nur Mütter waren schwanger“ (edition assemblage). Man erfährt darin, wie qualvoll das Tabu ist, über unerfüllten Kinderwunsch zu sprechen, geradezu qualvoll gerät das für queere Menschen. —  der Freitag (01.12.2018)
Ein gelungenes und sensibel erarbeitetes Buch, das auch Personen, die sich nicht für eine eigene Schwangerschaft oder ein Leben mit Kind interessieren, durchaus empfohlen ist. —  anschlaege (01.01.2019)
Ich bin zutiefst dankbar für das wunderbare Buch „Nicht nur Mütter waren Schwanger“ von Alisa Tretau (Hg.) und allen darin schreibenden Autor*innen. Sie wagen das Unsagbare, sie brechen mit dem Bild, dass man „links“ nur cool und lässig nebenbei schwanger sein darf. Danke! (…) „Nicht nur Mütter waren schwanger“ ist ein tolles Buch gegen Einsamkeit. Es macht unsichtbare Schicksale sichtbar und ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Offenheit und Solidarität jenseits von Geschlechtergrenzen und Szene-Rollen. —  Maren Hpunkt, umstandslos.com (01.02.2019)
Das Buch „Nicht nur Mütter waren schwanger“ bietet Einblicke in alternative Familienkonstellationen, Probleme des Mutter*seins und Mutter*werdens und kritische Ein-blicke in die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten im Gesundheitssystem. Traditionelle Vorstellungen von der „natürlichsten Sache der Welt“ werden nicht nur in Frage gestellt und herausgefordert, sondern es werden auch Alternativen aufgezeigt, welche von den Autor*innen gelebt werden. —  Studierendenmagazin Sozusagen